Meister & Gesellen –
eine kleine Geschichte

"Da könnte man was Schönes daraus machen." – "Wie kriegt ihr das warm im Winter?"
Das waren die beiden Sätze, die wir in der Anfangszeit von Besuchern am häufigsten gehört haben. Besucher? Ohne anzuklopfen standen sie da, mitten im Raum, irgend jemand, der vorbeikam und etwas entdecken wollte - so wie wir. Wir? Seit April 1994 war das Meisterzimmer 1 das Atelier von ein paar Spinnerei-Pionieren. Peter Bux, Daniel Milonic, mir, und dann ab 1995 Ricarda Roggan. Alles junge Künstler von irgend einer Kunsthochschule - ausgezogen, um die Welt zu entdecken und mit ihrer Kunst zu beglücken oder zu erschrecken. Und hier in der Baumwollspinnerei hatten wir Gelegenheit, alles und uns auszuprobieren. Wir konnten die Räume nutzen wie wir wollten: zeichnen, malen, bauen, spinnen und frei sein. Dank Regina Lenk, die uns als damalige Verwalterin der Spinnerei einen Bündel Schlüssel in die Hand drückte und uns einfach machen ließ, entdeckten wir die Welt und unsere Welt war die Spinnerei.

23°C
Apropos: "Wie kriegt ihr das warm im Winter?"
Auf der Website der Spinnerei heißt es dazu:
"...Auch die bauliche Qualität war hervorragend. Baumwollspinnereien wurden vor hundert Jahren generell massiv und nachhaltig gebaut, erstens baute man für die Ewigkeit und zweitens musste innerhalb der Produktionsstätten, damit das Garn gut lief, eine gleichbleibende Temperatur von 23°C gehalten werden. So waren Gebäude mit Vollziegelmauerwerk von über einem Meter Stärke, großen gusseisernen Kastenfenstern und Korkdämmung unter schnittlauchbewachsenen Dächern entstanden..." Spinnerei.de ...geschichte (sehr spannend!)
Meisterzimmer 1, Stühle
90er Jahre
Meisterzimmer 1, Waschbecken
Produktionsreste

Im Vorraum gab es ein Kino, eine Bar, Partys, Ausstellungen, Performances und experimentellen Sport (diesen bis heute). Besuchen konnten wir uns auf der Etage mit dem Fahrrad, nebenan brummte schon ab vier Uhr morgens die Produktion von technischem Garn und die Dusche teilten wir mit den Beschäftigten. Am Wochenende war die Heizung aus. Und das warme Wasser, das noch irgendwo in einem Kessel dampfte, brauchte 15 Minuten, bis es in der Dusche ankam. Kalt oder kochend heiß, da war timing gefragt (das ist übrigens heute besser gelöst). Und wenn dann Sonntag Abend die Dampfheizung wieder ansprang, waren auch wir am springen - von 12˚C auf 26˚C in 25 Minuten (so ungefähr). Jedenfalls machte das einen unglaublichen Lärm, als ob jemand an die Rohre klopft. Da wir uns aber über die ankommende Wärme freuten, klang es wie Musik in unseren Ohren. Wir nannten es „Heizkörpersymphonie" - auch das ist heute (konventionell) verbessert, aber: wir haben die Musik noch in unseren Ohren und eine Aufnahme auf Kassette bzw. hier als Hörprobe:

2002 wurde dann die Produktion, wie alle anderen ursprünglichen Arbeiten in der Spinnerei eingestellt. Es war ohnehin nur noch eine Auflage der Treuhand, ein paar Beschäftigte der ehemals 3.500 Arbeiterrinnen und Arbeiter zu übernehmen, die meisten waren Frauen. „Meisterzimmer" waren übrigens die mit Glasfronten versehenen Werkstätten der Werks- Spinnereimeister.

Meisterzimmer 1
00er Jahre
Meisterzimmer 1
Meisterzimmer 2

Um die 2000er Jahre passierte überhaupt recht viel, auch in der Spinnerei. So waren immer mehr Künstler hergezogen, es gab zahlreiche Werkstätten, ein Café, Jim Whiting´s legendäres Bimbo-Town und eine Menge Leute, die das ganze kreative Umfeld angezogen hatte. Es wurde langsam schick. Besonders als dann auch die Galerien aus der Stadt heraus kamen. Unseren Schlüsselbund hatten wir da schon lange nicht mehr, lediglich die eine oder andere Tür ging noch auf. Wir waren brave Mieter geworden, das heißt fast.

Im Atelier selbst haben wir immer viel gebaut. So ist der Raum gewachsen, ohne jedoch seinen Charakter als ehemalige Damenumkleide zu verlieren (die Waschbeckenreihe haben wir 2016 mit Originalteilen erneuert). Ab 2001 war ich dann im Raum alleine, habe 2006 die Gartenhütte gebaut und bin 2008 nach Jena gezogen.

Ein Kunsprojekt zum Übernachten
Um den Raum nicht ganz aufgeben zu müssen, er war uns sehr ans Herz gewachsen, kamen wir auf die Idee, ihn ab und zu an Leipzig-Gäste zu vermieten. Denn wir hatten oft erlebt, dass das Übernachtungsangebot in unserer Gegend eher bescheiden und meist langweilig war. Eine Geschäftsidee im eigentlichen Sinne war es nicht, wir hatten nicht investiert und erwarteten auch keine Gewinne. Der Raum war am Anfang recht spartanisch eingerichtet, die Toilette noch auf dem Flur, die Bettwäsche von Verwandten und das warme Wasser in der Dusche brauchte (nur) noch 3 Minuten. Dafür war der Preis aber auch sehr gering und der Raum und Freiraum drum herum riesig.

Das hat den Gästen gefallen, mehr als wir angenommen hatten. Und als dann auch noch die überregionale Presse zu berichten begann, hatte ich nur noch selten die Möglichkeit, selbst das Atelier zu nutzen. So haben wir nach und nach den Raum weiter ausgebaut und die Ausstattung verbessert. 2011 kam der zweite, 2013 der dritte und 2014 der vierte Raum dazu. Nun hoffe ich, dass die Idee - etwas von dem Freiheitsgefühl, welches die Räume, die Spinnerei und auch die großartige Stadt Leipzig immer auf uns ausgestrahlt haben, weitergeben zu wollen - erkennbar bleibt.

Meisterzimmer 4, Baustelle, Zeitung
2014
Meisterzimmer 4, Baustelle, Leiter
Meisterzimmer 4, Baustelle, Sonne

Gebaut haben wir vieles selbst, und manches Spezielle bauen lassen. Mit dabei, vor allem bei der Gestaltung und Einrichtung, war von Anfang an Jana Gunstheimer, die als Künstlerin aus jeder Not eine Tugend machen kann.
Mir hat das Bauen immer Freude gemacht, parallel baue ich auch digital - Websites. So ist einiges zusammen gekommen, was es ermöglicht, ein Kunsprojekt zum Übernachten zu betreiben – Spaß am Bauen und Ausprobieren, Freude daran, Gäste zu haben und natürlich auch Glück. Wir sagen Danke an alle die uns begleiten und als Gäste besuchen!
Jana Gunstheimer und Manfred Mülhaupt

 

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Anreise / Spinnerei Leipzig

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Meisterzimmer – was machen wir da?